
Von Annika Schmidt
Masha Gessens Buch Autokratie überwinden erzeugt vor allem eins: Wut. In detaillierten und gut recherchierten Ausführungen macht Masha Gessen klar, dass Donald Trump sich von der Demokratie abgewandt und die autokratische Führung der USA übernommen hat. Von Tag eins an. Als Autokratie wird eine unkontrolliert politische Machtform bezeichnet. In vielen Einzelbeispielen führt Gessen an, wieso sie*er der Meinung ist, dass Trump genau so sein Land führt.
Gessen bringt viele Beispiele für die Willkür des US-amerikanischen Präsidenten und zeigt besonders am Beispiel der Corona-Pandemie, wie gefährlich seine Inkompetenz ist. Noch einmal in dieser geballten Zusammenfassung vor Augen geführt zu bekommen, wie viel schiefgelaufen ist und welche zahlreichen unterschiedlichen Fauxpas sich Trump geleistet hat, ist erschreckend. Viel führt Gessen zurück auf den Unwillen Trumps, sich mit komplexen Sachverhalten zu beschäftigen. Gessen führt an, das Pariser Abkommen sei ihm zu unverständlich gewesen, also sei er ausgetreten. Ähnlich hat sich Trump bereits vielfach über zu aufwendige politische Prozesse beschwert, die viel einfacher lösbar sein müssten. In seiner Welt also mit einem Tweet, den dann die ganze Welt befolgt.
Durch die verschiedenen Ausführungen ziehen sich immer wieder Vergleiche mit Putin, aber auch mit Hitler und Stalin. Zu Beginn dachten viele, dass Trumps begrenzte Fähigkeiten einfach in fehlender Führung enden würden oder, dass er sich doch noch nach einigen Monaten „präsidentiell“ verhalten würde. Doch dies ist nicht eingetreten. Ebenso wurden Hitler und Stalin anfangs nicht ernst genommen und von einem Großteil der Bevölkerung ignoriert. Doch genau hier liegt die Gefahr.
Trump hat kein Interesse an den gängigen politischen Prozessen. Er kniet sich nicht in seine Arbeit hinein. Vielfach ist er, für alle gut sichtbar, unvorbereitet bei öffentlichen Auftritten. Für ihn gibt es keinen Interessenskonflikt zwischen seiner Präsidentschaft und seiner Firma sowie der Stellung seiner Tochter Ivanka im Weißen Haus und ihren unternehmerischen Aktivitäten. Eine von Trumps engsten Beraterinnen machte sogar einst öffentlich Werbung für Ivankas Produkte.
Wir alle wissen, dass Trumps Gegner*innen in hohen Positionen vielfach gefeuert oder verunglimpft wurden, sodass sie kündigten. Vor Kurzem besetzte er die dritte Stelle am Supreme Court während seiner Amtszeit neu. Unzählige Präsidentschaftsdekrete wurden verfasst und haben die Lage der Bürger*innen gesamtgesellschaftlich gesehen nicht verbessert. Zumindest in dem Fall, in dem sie was bewirkten, denn auch hier zeigte Trump oft Kurzsichtigkeit. Dass mit einem Dekret für den Mauerbau zwischen der USA und Mexiko noch lange nicht geklärt ist, wie dies finanziert werden soll, war für ihn scheinbar nicht abzusehen. Und trotz all dieser Inkompetenz wird sein Wirken auch über seine Amtszeit hinaus Gewicht haben. Auch wenn er nicht wiedergewählt wird, vieles wird bleiben.
Masha Gessen regt mit diesem Buch zum Nachdenken an. Besonders so kurz vor der Wahl in den USA sind die Ausführungen noch einmal besonders interessant. Schritt für Schritt wird aufgezeigt, wie Trump immer wieder als Präsident versagt. Es wird hinterfragt, wie wir in so einer Welt weiterleben wollen. Schließt sich das Kapitel Trump einfach nach seiner Amtszeit oder sind die Menschen zum Umdenken bereit? Viele dieser Gedankenspiele sind auch auf unsere Gesellschaft übertragbar. Es ist an der Zeit, aus den gemachten Fehlern zu lernen und sich für die eigene Gesellschaft einzusetzen. Ein wichtiges Buch zum richtigen Zeitpunkt.
Masha Gessen liest und diskutiert per Videokonferenz am 31.10.2020 um 15 Uhr im Kleinen Haus des Theater Bremen.
Autokratie überwinden, Masha Gessen, Übersetzung: Henning Dedekind und Karlheinz Dürr, 2020, Aufbau, 299 Seiten, 20,00 €.