von Felix Krause

„Leute machen eine ganze Menge aus diesem Buch“, sagt der Mann auf meinem Laptop Display. Nicht stolz sagt er das, auch nicht beleidigt, sondern einfach als Feststellung. Wie jemand, der aus gesunder Distanz und in gewisser Weise oberflächlich beobachtet und beschreibt, der jedoch keine verfrühte Bewertung abgeben möchte. Der sich auch in besagtem Buch, Allegro Pastell, gegen die Eindeutigkeit entscheidet, gegen eine klare Botschaft, gegen eine Wahrheit. Leif Randt ist so maximal unaufdringlich, würde er nicht befragt werden, er würde sein Mikrophon vermutlich gar nicht erst einschalten.
An diesem Montagabend haben sich wieder knapp 20 Studierende aus Axel Dunkers Begleitseminar zur LiteraTour Nord über Zoom in meinem Zimmer zusammengefunden. Wie schon zwei Wochen zuvor, als Iris Wolff zu Gast war, wurde die eigentliche Lesung in diesen kleinen universitären Rahmen verlegt, wurde statt als klassische „Lesung“ als anspruchsvolle Diskussion veranstaltet. Diskussionsstoff bietet Allegro Pastell, diese „Lovestory aus den späten Zehnerjahren“ zwischen der Autorin Tanja und dem Webdesigner Jerome, allemal. So unterschiedlich und kontrovers es besprochen wurde (eine Rezension zum Buch auf diesem Blog finden Sie hier), so weit divergierten auch an diesem Abend die Meinungen. Ob Leif Randt mit der Geschichte dieser perfekten, aber aus Gründen eben doch zerbröselnden Fernbeziehung zwischen Berlin und Frankfurt a.M. ein Statement zur sogenannten „Beziehungsunfähigkeit“ unserer Zeit abgeben wolle? Ob er insgeheim die Kommunikations- und Konsumgewohnheiten urbaner Hipster kritisiere, denen alles offen steht, die sich sorgenlos ihre Existenz zusammenkuratieren können? Ob er also – Pistole auf die Brust – die „Stimme unserer Generation“ sei (Stichwort „Millenial“)? Randt, der in einem schlichten, weißen Raum sitzt, hört zu, überlegt lange. Er wählt seine Worte bewusst. Er sei, vor allem im Zuge der ein oder anderen wegweisenden Rezension, oft „mit der Generationenthese konfrontiert“ worden, mache sich aber nichts aus diesem homogenisierenden Konzept.
„Der 34 jährige Dachdecker vom Dorf hat sicherlich eine ganz andere Lebensrealität als ich.“ (Leif Randt)
Auch wolle er nicht den Zeitgeist kritisieren oder gar Vorschläge für ein besseres bzw. Vorwarnungen für ein schlechteres Leben machen („meine Erzählabsicht geht gegen Null.“). Da ist sie also wieder, diese unentschiedene, sich nicht festlegen wollende Haltung, die wahrscheinlich noch zeitgeistiger, korrigiere: milieutypischer, ist als all die anderen Zeitgeistanalysen, korrigiere: Milieustudien. Eine Haltung, die auch Tanja und Jerome innewohnt. Alles kann – nichts muss, „Beziehungspause“ statt Schluss machen, gesteuerter Exzess, kontrollierte Leidenschaft. In diesem Sinne bildet Allegro Pastell natürlich die Gegenwart ab, in dem Randt „zwei mögliche Menschen“ entwerfen wollte, deren „scheinbar reflexiver Lebensstil“ die gemeinsame Beziehung eher in eine – wie er sagt – „wahnsinnig deprimierende Versuchsanordnung“ verwandelt. Dass er seinem eigenen Buch entsprungen sein könnte, ist kein Zufall. Noch bevor er dazu befragt wird, bringt er den Terminus „autobiographische Züge“ ins Spiel. Er ist an dem einen Handlungsort, Maintal bei Frankfurt a.M., aufgewachsen, wohnt seit Jahren an dem anderen, in Berlin. Seine Figuren seien durch Bekannte inspiriert, Hybridmenschen sozusagen: aus kleinen Details geformt, aber trotzdem scharf konturiert und individuell. Jedenfalls könnten sie auch Freund*innen von ihm sein. Die beschriebenen Orte wie den verdrogten Sex-Party-Klub kenne er und an den „Rekordsommer 2018“ könne er sich auch noch gut erinnern.
Leif Randt trägt Gaming Kopfhörer mit Camouflage-Muster, die so aussehen, als habe er damit bereits in seiner Jugend Ego-Shooter gespielt. Das passt nur beim ersten Blick nicht. Denn er verkörpert an diesem Abend das Nicht-Dogma. Nicht den von der Muse geküssten Schriftsteller. Auch nicht den charismatischen Entertainer. Nicht den Welterklärer, sondern einfach einen ruhigen, überlegten Intellektuellen, dessen (Nicht-) Ansichten ich ewig lauschen könnte. Ob er Pop-Literatur schreibe?, will kurz vor Schluss Axel Dunker wissen. Er sei nicht darauf aus gewesen, sich in irgendeine Tradition hineinzuschreiben. Ein klares „ja“ hätte mich auch gewundert.