Möglichkeiten literarischen Widerstands

Foto: Privat

Von Henrieke Homburg

Das Magazin Literarische Diverse ist ein anti-rassistisches Magazin für junge und vielfältige Literatur, das insbesondere BIPoC und LGBTIQ+ Stimmen eine Plattform bietet. Pro Ausgabe wird ein Thema festgelegt, zu dem via Open Call Texte eingereicht werden können. Im Falle der zuletzt im Dezember erschienen, dritten Ausgabe, haben sich auf diese Weise 25 Texte, außerdem Illustrationen sowie fotografische Arbeiten zum Thema Widerstand versammelt.

Schon die einleitenden Worte der Gründerin und Herausgeberin Yasemin Altınay im Editorial machen die vielfältigen Perspektiven und Möglichkeiten, von Widerstand zu erzählen, deutlich. Intim, teilweise schmerzhaft, aber immer empowernd, sollen die ausgewählten literarischen Arbeiten sein, und die Individualität der Kämpfe gegen gesellschaftliche Machtverhältnisse, Missstände und Diskriminierung vergegenwärtigen. Der Rat der Herausgeberin: lest mit Zeit, ganz bedacht, lasst euch auf die Texte ein und sie auf euch wirken. Im besten Fall soll die Ausgabe dann im richtigen Moment literarischen Support bieten und empowernd wirken.

Du schaust mich an und lächelst

Einen Moment lang ist alles gut

Du sagst zu mir

In dir drin toben tausend Stürme

Ich lächle zurück und sag

Ja, sie toben,

aber endlich, endlich brechen sie

aus.

                                                           aus: Yeliz Özmen – Tausend Stürme; Literarische Diverse, #3

Und so romantisch dieses Ziel vielleicht erst einmal klingen mag: genau das bietet das Magazin tatsächlich. Der Begriff und die Aktion des Widerstands wird durch die Textauswahl aus verschiedensten Perspektiven beleuchtet, definiert, widerständisches Denken und Handeln im ganz Kleinen, Alltäglichen, wie auch in ganz großen Zusammenhängen, thematisiert. Widerstand, das kann schon die Wahl der Kleidung, die Frisur und das stolze Tragen krausen Haares sein. Das ist die Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte, mit Migration und Flucht und ihren Folgen. Mit erfahrener Diskriminierung auf Basis von race, class, gender, und der Reflexion der eigenen Position. Und sie laut auszusprechen. Widerstand, das können empowernde Gespräche sein, Zuhören, anderen und auch sich selbst. Und vor allem gehören zum Widerstand auch Erschöpfung, Kraftlosigkeit, Gefühle der Ohnmacht und des Zweifels – und das Anerkennen und Zulassen dieser Gefühle. Eine wichtige und tröstende Lektüreerkenntnis also: Widerstand ist, abseits seiner großen, gesellschaftlichen Dimension oder gar konkreter politischen Ziele, auch etwas ganz Persönliches, Individuelles.

Ein Körper, der so viel Feuer in sich trägt, als wäre er vier Meter groß. Aber der in Wahrheit klein und zerbrechlich ist. Manchmal ist auch ihre Stimme zerbrechlich. Es ist Feyzas Mut, der ihr erlaubt, das in Ordnung zu finden.

Aus: Elena Bavandpoori – Gegen alle Widrigkeiten; Literarische Diverse, #3

Und das Kleine, Einzelne, das Viele, verdichtet sich zusammen zu einer Erfassung des großen Ganzen. Jeder einzelne Beitrag hat seine ganz eigene Dringlichkeit. Jeder einzelne Beitrag erzählt eine ganz eigene Geschichte, die gehört werden muss. Dabei macht nicht nur Diversität in den Themen, Perspektiven, und Erfahrungen aller Autor*innen, sondern auch in Textform die Lektüre so besonders und so spannend. Diese formal, thematisch und rhythmisch so unterschiedlichen Arbeiten spiegeln die Komplexität jeder einzelnen Perspektive. Und sie fordert von Lesenden immer wieder eine ganz eigene Aufmerksamkeit für jeden neuen Text ein. So liefert die Zusammenstellung der Texte auch eine außergewöhnliche Ergänzung wichtiger, widerständiger Sachbücher, wie Sprache und Sein von Kübra Gümüşay oder Max Czolleks Gegenwartsbewältigung über die bereits hier auf dem Blog berichtet wurde. Klar ist, es geht hier nicht nur um literarische Arbeiten zum Thema Widerstand, es geht vor allem auch darum, literarisch Widerstand zu leisten, sich Gehör zu verschaffen und die Möglichkeiten des Schreibens auszuloten und auszuschöpfen. Die Literarische Diverse verdeutlicht dabei auch, dass sich nicht zwischen aus literaturwissenschaftlicher Sicht spannenden Texten und gesellschaftspolitscher Botschaft entschieden werden muss. So ist sie ein kraftvolles Beispiel dafür, wie weit Literatur gehen und wirken kann, und betont nebenbei die enorme Relevanz und Vielseitigkeit von Schrift und Literatur als kommunikatives Werkzeug.

                                                           Vó, vô, ich möchte euch was erzählen,

über Schuld und Widerstand und meine Fragen:

                                                           Ist Schuld überhaupt das richtige Wort,

                                                           oder Widerstand?

                                                           Vielleicht merkt ihr, dieser Text hat ein Problem,

                                                           ich möchte sagen: Schreiben ist Widerstand,

                                                           aber ihr werdet merken: Schreiben ist auch Unsicherheit,

                                                           und ist Unsicherheit nicht das Gegenteil von Widerstand?

                                                           Wann genau ich das gelernt habe,

                                                           und dass Widerstand schlecht sein soll,

                                                           ein Problem, eine Reibung im Ablauf der Dinge,

                                                           wann genau ich das gelernt habe, weiß ich nicht.

aus: Simon Sales Prado – resistência; Literarische Diverse #3

Literarische Diverse Magazin #3: Widerstand, 2020,Literarische Diverse Verlag, 109 Seiten, 15€

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